Über Jahrzehnte hinweg beruhte die Stärke der Schweiz auf einem Gleichgewicht, das selten ausgesprochen, aber deutlich sichtbar war. Ein grosser Teil der Unternehmen, insbesondere die KMU und familiengeführten Betriebe, die den Kern des wirtschaftlichen Gefüges bilden, bewegten sich in einem Umfeld, in dem lokale Kontinuität, Stabilität und langfristige Perspektiven nicht nur interne Ziele, sondern auch Voraussetzungen für den Wohlstand des Landes waren. Diese Übereinstimmung entsprang keiner altruistischen Kultur, sondern einer Konvergenz von Anreizen. Ein in der Schweiz verwurzeltes Unternehmen profitierte von einem vorhersehbaren Umfeld, einer soliden Berufsbildung und einem stabilen institutionellen System, das langfristiges Denken begünstigte.

In den letzten fünfzehn Jahren hat sich dieses Gefüge jedoch grundlegend verändert. Die Einbindung der Schweiz in globalisierte Wertschöpfungsketten, der Druck des starken Frankens und die rasante Marktentwicklung haben neue Anreize geschaffen, die nicht mehr unbedingt dem nationalen Gemeinwohl dienen. Analysen von Swissmem, dem KOF der ETH Zürich und kantonalen Wirtschaftsämtern zeigen eine deutliche Zunahme partieller Verlagerungen in der Mechanik, den Mikrotechnologien, der Industrieuhrenfertigung und der pharmazeutischen Zwischenproduktion. Ein bedeutender Anteil der KMU verlegt heute Teile ihrer Tätigkeit in die Europäische Union oder nach Asien, nicht aus ideologischen Gründen, sondern um die Margen in einem Umfeld zu sichern, in dem die Schwankungen des Frankens die Kosten erheblich beeinflussen.

Ein weiterer struktureller Faktor verstärkt diese Entwicklung. Seit 2018 häufen sich die Übernahmen von Familienunternehmen durch ausländische Fonds oder internationale Holdings. Einmal in globale Finanzlogiken eingebettet, richten einige Unternehmen ihre Strategien stärker auf Renditeziele aus und messen der lokalen Verankerung weniger Bedeutung bei. Die Folgen sind dokumentiert. Schliessungen peripherer Standorte, die als nicht essenziell gelten, ein Rückgang der Anzahl ausgebildeter Lernender, Auslagerung vormals lokaler Funktionen und Konzentration rentabler Aktivitäten in wettbewerbsfähigeren Rechtsräumen. Diese Entscheidungen sind nicht illegitim, sie spiegeln lediglich eine neue Hierarchie von Anreizen wider.

Die amerikanische Wirtschaftspolitik seit 2017 wirkt dabei eher als Beschleuniger denn als Wendepunkt. Massive Steueranreize in den USA, kombiniert mit einem verstärkten protektionistischen Klima, haben einige exportorientierte Schweizer Unternehmen dazu veranlasst, direkt in den Vereinigten Staaten zu investieren, um die Unsicherheit im Zusammenhang mit Zöllen zu vermeiden und von sehr vorteilhaften steuerlichen Rahmenbedingungen zu profitieren. Diese Dynamik betrifft nicht nur multinationale Konzerne, sondern auch mittelgrosse Unternehmen in der Chemie, der Medizintechnik und der industriellen Technologie. Die Konsequenz liegt auf der Hand. Ein wachsender Teil der von Schweizer Unternehmen geschaffenen Wertschöpfung wird ins Ausland verlagert, oft aus rein strukturellen Gründen.

Diese Veränderungen haben mehrere direkte Auswirkungen auf die Schweizer Wirtschaft. Erstens betrifft dies die Widerstandsfähigkeit des industriellen Gefüges. Als die Unternehmen stärker lokal verankert waren, profitierten die Regionen von beruflicher Stabilität und vom Wissenstransfer im Rahmen der dualen Ausbildung. Der allmähliche Rückgang des lokalen Engagements gefährdet die Verfügbarkeit qualifizierter Arbeitskräfte, insbesondere in technischen Berufen. Mehrere Kantone beobachten bereits einen Rückgang des Ausbildungsangebots in Bereichen, die für die Innovationsfähigkeit des Landes zentral sind. Zweitens betrifft dies die regionale Kohäsion. Standortschliessungen und partielle Verlagerungen schwächen die industriellen Randregionen, verstärken demografische Ungleichgewichte und mindern die Attraktivität bestimmter Gebiete.

Ein dritter Effekt betrifft die Fähigkeit des Landes, die strategischen Entscheidungen seiner Unternehmen überhaupt noch zu beeinflussen. Wenn Entscheidungszentren verlagert oder in internationale Strukturen eingebettet werden, verliert die Schweiz nach und nach die Möglichkeit, Entwicklungen vorherzusehen, die Arbeitsplätze, Steuereinnahmen oder lokale Infrastrukturen betreffen. Diese Distanzierung bedeutet nicht, dass sich die Unternehmen von der Schweiz abwenden. Sie zeigt vielmehr, dass globale Optimierungslogiken zunehmend Vorrang vor nationalen kollektiven Interessen haben, selbst in historisch stark verwurzelten Sektoren.

Die zentrale Frage lautet nun. Wie kann ein Land, dessen Wohlstand stark von der internationalen Offenheit abhängt, seine Institutionen so anpassen, dass das lokale Ökosystem nicht durch externe Dynamiken geschwächt wird, auf die es nur begrenzten Einfluss hat. Und wie lässt sich ein Modell bewahren, in dem sich individuelle Unternehmensinteressen so häufig wie möglich mit den kollektiven Interessen des Landes decken. Die Schweiz muss entscheiden, ob sie ihre innere Attraktivität stärkt, indem sie Ausbildung, Innovation und die Weitergabe von KMU stärker unterstützt, oder ob sie einen strukturellen Wandel akzeptiert, in dem die Mobilität des Kapitals neue Formen der Widerstandsfähigkeit erfordert. Die kommenden Entscheidungen werden bestimmen, ob das Land das Gleichgewicht bewahren kann, das lange seine Stärke ausmachte.

Quellen:

Swissmem – Chiffres de la branche MEM
 https://www.swissmem.ch/fr/espace-medias-1/chiffres-de-la-branche.html

Swissmem – L’industrie tech suisse (structure, emploi, apprentissage)
 https://www.swissmem.ch/fr/engagement/lindustrie-tech-suisse.html

Confédération suisse – Données officielles sur les PME (OFS / SECO)
 https://www.kmu.admin.ch/kmu/fr/home/savoir-pratique/politique-pme-faits-et-chiffres/chiffres-sur-les-pme/entreprises-et-emplois.html

Innosuisse – Étude 2022 : Les PME suisses innovantes
 https://2022.discover-innosuisse.ch/fr/themes/innovative-swiss-smes

Swissmem – Analyse conjoncturelle 2024–2025 : pressions sur les marges et délocalisations partielles
 https://www.swissmem.ch/fr/competences/direction-dentreprise/pas-de-renversement-de-tendance-en-vue.html